Licht im Glas

 

Es war einmal ein Eichhörnchen. Es war keck und abenteuerlustig, darum wagte es sich ganz gern auch abends aus seiner Baumhöhle und bewunderte die veränderte Welt. Alles wurde ruhiger. Die Dunkelheit tauchte Bäume und Sträucher in geheimnisvolle Stille. Nebel legte sich über die große Wiese, die an den Wald grenzte, in dem das Eichhörnchen wohnte. Am anderen Rand dieser Wiese leuchtete ein einzelnes warmes Licht. Es war die Laterne vor einem Haus, das dort allein stand ohne Nachbarn. Ein Garten umrahmte dieses Haus und darin wuchsen einige Haselsträucher. Nur darum war dieses Haus für das Eichhörnchen wichtig. Still leuchtete die Laterne ihr sanftes Licht in die Dunkelheit hinaus. Wie hübsch das aussah. Erfreut sprang das Eichhörnchen näher, um es lange und andächtig zu betrachten.

 

„Guten Abend, liebes Tierchen“, grüßte die Lampe in der Laterne freundlich. „Guten Abend, schönes Licht“, erwiderte das Eichhörnchen und fügte schüchtern hinzu: „Wollen wir Freunde werden? Du gefällst mir so gut!“ Die Lampe lächelte mild. Das wertete das Eichhörnchen als ein Ja. Es sprang herum und plauderte, machte übermütige Kunststücke und legte schließlich auch ein paar Nüsse als Geschenk zu Füßen der Laterne hin. Diese freute sich und erzählte von ihrer Göttin, der Sonne und von den vielen Lichtengeln, den Sternen, von den kleinen Verwandten, den Kerzen und von Lehrern und Freunden, den Lampen, die in den Häusern Licht spendeten. So erzählten sie einander nach und nach von sich und gewannen einander im Laufe vieler Tage sehr lieb.

 

„Kannst nicht einmal auch du mich besuchen? Bisher bin immer ich zu dir gekommen. Ich möchte dir mein Zuhause zeigen“, bat eines Tages das Eichhörnchen. „Ich weiß nicht, mal sehen wie es mir ausgeht. Weißt du, ich habe hier beim Haus eine wichtige Aufgabe zu erfüllen“, antwortete die Lampe ausweichend. Sie war es nicht gewohnt, so vertraulich mit den Wesen umzugehen. Für gewöhnlich strahlte sie für alle und war deswegen hilfreich und geachtet bei allen, die ihr Licht brauchten und schätzten. Doch so persönliche Freundschaften kannte sie eigentlich nicht. Das Eichhörnchen aber hoffte auf den Besuch und bereitete bereits ein kuscheliges Nest in seiner Baumhöhle. Es stellte sich vor, wie schön sie es haben würden, traulich beisammen, das warme Licht der Freundin und die eigene lebendige Leidenschaft.

 

Tagsüber wagte sich das Eichhörnchen kaum zum Haus. Es gab dort lärmende Kinder, Katzen, die gefährlich aussahen und sogar einen Hund, dem das Eichhörnchen auf keinen Fall zu nahe kommen wollte. Doch eines Tages waren alle diese Wesen im Haus, weil es nieselte. Darum wagte sich das flinke Tier heran, um die geliebte Freundin zu besuchen. Es hatte zwar längst gemerkt, dass in der Laterne das ersehnte Licht tagsüber nicht so imposant wirkte, doch das tat der Liebe keinen Abbruch. „Grüß dich, liebe Freundin!“ grüßte das Tier gut gelaunt und schaute verliebt zu dem Glasgehäuse hinauf, in dem das Licht abends zu sehen war. Die kalte Lampe schämte sich und wandte sich etwas ab. „Du erlebst mich von meiner Schattenseite. Das ist mir unangenehm“, sagte sie abweisend.

 

„Aber geh! Ich mag dich doch immer, mit und ohne Licht. Außerdem denke ich mir, wenn du jetzt gerade nicht für alle anderen leuchten musst, kannst du ja einen kleinen Ausflug machen und zu mir kommen. In meiner Höhle ist es gemütlich und warm“, munterte das Eichhörnchen die Freundin fröhlich auf. Ratlos blickte die kalte Lampe auf das treue Tier hinab. Sie wäre gerne mitgekommen, hätte gerne lustige Spiele mit ihrem hübschen Freund gespielt, und hätte ihn auch gerne in seinem Heim besucht. Doch bei dem Gedanken, ihr Glasgehäuse zu verlassen, sich auf die Wiese zu wagen oder sogar auf einen Baum zu klettern, bekam sie Angst. „Weißt du, meine Pflicht ist es hier zu bleiben, auch wenn ich gerade nicht leuchte. Hier ist mein Platz und leuchten will ich für alle, nicht für einen Freund allein“, sagte sie schließlich. „Aber ich dachte, du magst mich besonders. Dein Leuchten abends wäre doch nicht weniger schön, wenn du meine Freundin bist und mich besuchst“, klagte das Eichhörnchen entmutigt. Es spürte, dass diese Freundschaft wohl nicht so verlaufen würde, wie es sich das erträumt hatte. Traurig und für sein Temperament ungewöhnlich langsam ging es zurück zum Wald.

 

Die Lampe blickte ihm nach. „Besuche mich bitte wieder“, sagte sie leise. Das Tier war aber bereits zu weit weg, um diese Worte zu hören. An diesem Abend regnete es heftig. Die Lampe strahlte mit ganzer Kraft und Sehnsucht. Sie strahlte nur für den Freund, doch der kam nicht. Hasen und Igel bevölkerten den Garten und die Wiese. Das Licht strahlte so intensiv es konnte zum Wald hinüber. Dort blieb es dunkel und still. Die Regentropfen rannen wie Tränen an dem Gehäuse der Laterne entlang. Sie wusste, dass ihr Licht das Glasgehäuse nicht verlassen konnte. Oder sollte es doch aus sich heraustreten, dem Freund entgegen? Sollte es sich in die Weite hinauswagen, so wie die kleinen süßen Glühwürmchen im Sommer? Würde sie in der Welt bestehen ohne das schützende Glas? Würde sie dem quirligen lustigen Eichhörnchen eine ebenbürtige Freundin sein können in ihrem ruhigen Strahlen und mit ihren Schattenseiten? Ein schöner Traum wäre es, aber undenkbar. Das war nicht vorgesehen in ihrem Dasein als Lampe in einer Hauslaterne. Hier war ihr Platz, hier waren ihre Pflichten und vor allem, hier war ihre Sicherheit. 

 

Es vergingen einige Tage, bis das Eichhörnchen die Laterne wieder besuchte. „Ich hatte Sehnsucht nach dir. Und da ich dein Leuchten auch vom Wald aus sehen kann, musste ich die ganze Zeit an dich denken. Magst du mich denn so wenig, dass du mich nicht besuchen willst?“ fragte es in seiner offenen ehrlichen Art. Die Lampe konnte nichts sagen, denn sie liebte das kleine Tier. Trotzdem würde sie es nicht wagen, ihr Laternengehäuse zu verlassen. Sie hatte sich sogar überlegt, wie sie denn an der glatten rutschigen Stange hinabsteigen könnte, auf der die Laterne thronte. „Ich leuchte für dich mit meiner ganzen Zuneigung. Mehr kann ich dir nicht versprechen, denn mein Platz ist hier, meine Aufgabe gilt allen, nicht dir allein“, sagte sie zärtlich. „Ja, dein Leuchten ist schön und es soll allen gelten. Da ist wohl keine persönliche Freundschaft für mich erkennbar“, antwortete das Tier sehnsuchtsvoll. Es sprang zurück in den Wald und legte sich traurig zu Bett.

 

Danach bemühte sich das Eichhörnchen, die Laterne seltener zu besuchen, denn ihre Zurückhaltung machte es traurig. Einmal spielte es mit einem Cousin. Beide tollten flink über die Äste, kletterten gewandt an Baumstämmen hinab, sprangen mit großen Sätzen zum nächsten Baum, um auch an diesem behende wieder hinauf zu klettern. Es tat gut, so ausgelassen zu sein und nicht zu grübeln. Schließlich saßen sie auf einem Ast und lachten  und plauderten. Dabei erzählte das Eichhörnchen von seiner Liebe zur Lampe in der Hauslaterne. Eigentlich wollte es das gar nicht preis geben, doch die Worte kamen wie von selbst. Anscheinend sehnte es sich danach, sich jemandem anzuvertrauen. Der Cousin hörte gelassen zu und meinte sachlich: „Sei froh, dass aus dieser Freundschaft nichts geworden ist, denn du brauchst Bewegung, du brauchst jemanden von unserer Art. Vergiss die Lampe und ihr Licht. Sie ist außerdem eingesperrt und kann gar nicht aus dem  Glasgehäuse heraus, selbst wenn sie wollte!“ „Meinst du wirklich, dass sie gar nicht hinaus kann, dass es für sie nicht geht?!“ fragte das Eichhörnchen betroffen. „Aber klar. Die sitzt da drin, hoch oben zwar, aber total unfrei. Vergiss sie!“ Der Cousin verstand nicht, wie man sich in jemand so Fremden und anders lebenden verlieben konnte.

 

Für das Eichhörnchen aber brachte dieses Gespräch eine ganz neue Erkenntnis, denn nun brannte nicht nur die Sehnsucht in ihm, sondern tiefstes Verständnis, Liebe sogar. „Grüß dich!“ sagte es schüchtern, als es gleich am folgenden Tag zur Laterne lief. Im Garten schlief der Hund, vor der Haustür saß eine Katze und leckte sich die Pfoten. Die Menschen waren nicht zu sehen. Natürlich hatte das Eichhörnchen Angst vor den Haustieren, aber die Freundschaft war stärker. Trotzdem blieb es aufmerksam und auf der Hut vor dieser bedrohlichen Welt in Menschennähe. Erfreut schaute die Lampe den Freund an. „Wie schön dich zu sehen“, sagte sie endlich. Dann schwiegen beide. „Ich werde dich jetzt wieder öfter besuchen, wenn es dir recht ist“, meinte das Tier schließlich. Es wusste nicht, wie es sich verhalten sollte. Plötzlich war es schüchtern, ein Wesenszug, der ihm sonst fremd war. „Ich freue mich, wenn du mich besuchst“, antwortete die Lampe. Auch sie wirkte einsilbig, obwohl sie in den Tagen seiner Abwesenheit sehnsüchtig an den Freund gedacht hatte. Sie wollte ihm nahe sein, wollte sein lustiges Gesicht sehen, mit ihm plaudern und konnte sich doch nicht vorstellen, ihre Position zu verlassen.

 

So trafen sie sich immer wieder. Für die Lampe war es kostbar, den Freund so oft zu sehen. Sie vertraute ihm mehr und mehr, teilte sich ihm mit und fand, dass er Teil ihres Lebens geworden war, Teil ihres geordneten Lebens im klaren Glasrahmen der Laterne. Sie musste ihr Gehäuse nicht verlassen, leuchtete nach wie vor für alle Wesen, war unantastbar, strahlend schön, aber allein hoch oben. Trotzdem musste sie nicht einsam bleiben, weil das Eichhörnchen treu und zutraulich war.

 

Allerdings war das Tier leidenschaftlich und wollte seine Zuneigung auch spüren und erleben, nicht nur besprechen. Darum ergab es sich sehr bald, dass es Freundschaft schloss mit einem frechen kleinen Eichhörnchen Mädchen. Zunächst spielten sie nur lustig miteinander, machten gemeinsame Kunststücke und neckten einander, doch nach und nach erzählten sie von den eigenen Träumen, Wüschen, Sehnsüchten. Sie besuchten einander, kuschelten bei Regenwetter im warmen Nest und schenkten sich gegenseitig Nüsse, die sie gemeinsam verzehrten. Je inniger ihre Freundschaft wurde, desto seltener besuchte das Eichhörnchen die Laterne. Zwar mochte es sie nach wie vor, doch es wurde ihm bewusst, wie einseitig diese Beziehung war und dass es keine Entwicklung darin gab. Es würde immer so bleiben, dass nur dann ein Kontakt möglich war, wenn das Tier die Laterne besuchte. Umgekehrt gab es nichts zu erwarten.

 

So war es nur natürlich, dass die Loslösung zwischen Lampe und Eichhörnchen in dem Maße wuchs, in dem die Freundschaft zwischen den beiden Tieren selber Art zunahm. Nach einiger Zeit bekam die Laterne nur noch dann den ersehnten Besuch, wenn das flinke Tier Nüsse aus dem Garten stahl, manchmal sogar in Begleitung seiner ebenso flinken Freundin. Man wechselte ein paar höfliche Worte mit der strahlenden oder kalten Lampe, je nach Tageszeit, doch mehr gab es nicht zu besprechen. Die Lampe wollte sich über das Liebesglück ihres kleinen Freundes freuen, doch diese Freude tat weh. Sie wollte Tränen der Trauer weinen, doch sie selbst war es ja gewesen, die eine nähere Verbindung verhindert hatte, darum war auch Trauer nicht passend. Sie wollte mit aller Kraft strahlen, um sich zu beweisen, wie wichtig sie den Wesen war und wie groß ihre Liebe für sie alle und dass sie es sich eben nicht erlauben konnte, einen bestimmten Freund mit besonderer Liebe zu bedenken. Doch das Licht wurde als Selbstverständlichkeit hingenommen und tröstete die Lampe nicht. Sie fühlte sich einsam und eingesperrt. Es war das gleiche Dasein wie immer hoch oben in dem Gehäuse der Laterne und doch war aus diesem Hoheitssitz nun ein Gefängnis geworden, ein Ort trauriger Selbsterkenntnis des Alleinseins.

 

Tagsüber betete die Lampe ihre Göttin die Sonne an, nachts den heiligen Mond mit seinem geheimnisvollen geliehenen Licht. Doch die Himmelskörper schwiegen zum Thema Freundschaft. Sie bestätigten beide nur eines, nämlich dass die Lampe Teil einer großen Lichtenergie sei und sich deswegen glücklich schätzen durfte. „Ich bin Teil einer großen Liebesenergie wie wir alle. Darum sind wir alle eine Gemeinschaft und nie allein!“ verkündete sie voll Inbrunst wann immer sie konnte, denn sie wollte es vor allem selbst unbedingt glauben.

 

Mit jedem Tag etwas mehr Weisheit,

noch mehr Dankbarkeit –

welch schönes Altern!

 

 

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Wörth 22

 

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